Vor einiger Zeit wurde Jack Ma, der ehemalige Chef von Alibaba, für die durchaus kritische Hervorhebung der Vorteile des Arbeitszeitmodells „9-9-6“ zerrissen. Für normale Arbeitnehmer, die von solchen Modellen absolut keinen Vorteil haben, ist dies meiner Meinung nach auch ein unmenschliches Arbeits-Modell. Was sich genau dahinter verbirgt und warum ich mir das (bzw. noch mehr Stunden) mal antue, gibt es in diesem Artikel.
9-9-6 – Was ist das überhaupt?
Bei 9-9-6 handelt es sich um das umstrittene Konzept, das vor allen Dingen in China herrscht, nach dem selbst normale Arbeitnehmer 6 Tage pro Woche jeweils von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends arbeiten! Das macht schlappe 72 Stunden die Woche, wenn man davon ausgeht, dass man nicht mal eine Pause macht. Also fast das doppelte einer „normalen“ Arbeitswoche“ eines deutschen Arbeitnehmers. Auch in vielen anderen Ländern ist ein sehr heftiges Arbeitspensum der Alltag. Auch in den USA, zumindest bei bei den großen Tech-Companys, werden viele normale Arbeitnehmer eher eine 50 – 70 Stunden Arbeitswoche als Standard vorfinden.
Ist das denn etwas Neues?
Schon vor Jahren habe ich vor Jahren schon in einer Doku gesehen, dass es auch zu den Anfängen von Microsoft üblich war, dass man ganz normal mit seinen Kollegen bis 17 Uhr arbeitete, dann zusammen ins Kino oder ins Fitnesstudio ging und dann wieder zurück in die Firma fuhr um dann bis 22, 23 oder vielleicht auch bis 1 Uhr nachts weiter zu arbeiten. Auch bei Apple war oder ist dies keine Seltenheit. Nicht ohne Grund ließ Steve Jobs die markaberen Shirts mit dem Aufdruck „90 Hours A Week And Loving It“ für seine Mitarbeiter drucken, die teilweise an ihren Computern schliefen. Das ist sogar noch mehr als beim Zeitmodell 9-9-6 an Arbeitsstunden anfällt. Ohne jeden Tag der Woche zu arbeiten ist dies mit Pausen und ausreichend Schlaf schon kaum zu erreichen. Dass sich dies irgendwie im Gehalt wirklich widergespiegelt hat wage ich zu bezweifeln, wobei man hier aufpassen muss, wie man das beurteilt. Denn in den USA herrscht eine andere Unternehmens-Kultur, bei welcher die Mitarbeiter, wie auch bei Microsoft oder Apple, oft mit Aktienpaketen bedacht wurden und somit oftmals selber durch den Erfolg des Arbeitgebers reich geworden sind.
Meine Meinung
In den USA kann ich mir vorstellen, dass man zumindest bei den großen Tech-Companys ein noch einigermaßen vertretbares Gehalt bekommt, oder wie bereits geschrieben von Aktienpaketen profitieren kann. Trotzdem muss man sich dann eigentlich ausrechnen, ob man dann pro Stunde noch wirklich mehr verdient als bei McDonalds, denn die Aktie kann auch ein Reinfall werden.
Deshalb ist meine persönliche Meinung auch, dass ich eine solche hohe Anzahl an Stunden für einen Arbeitgeber und nicht für mich selbst, eigentlich nur arbeiten würde, wenn ich auch ein dementsprechendes Gehalt bekomme. Und das fängt für mich bei einer solchen „Aufopferung“ erst bei ~10.000 € netto im Monat oder einer Beteiligung am Unternehmen an. Denn wenn man soviel Zeit in Projekte von anderen investiert, die man auch in die Entwicklung eigener Projekte stecken könnte, dann muss das auch wirklich angemessen vergütet werden.
Als normaler Angestellter ist das aber für mich undenkbar. Ich gehe nicht davon aus, dass man dafür in China entsprechend entlohnt wird. Denn eigentlich ist im Leben nichts wertvoller als Zeit, denn die kommt niemals wieder zurück und die kann man sich auch nicht kaufen…
Das Experiment
Da ich sowieso sehr viel Zeit mit meinen eigenen Projekten und Ideen verbringe, habe ich mir deshalb überlegt selber mal eine 100 Stunden Arbeitswoche zu simulieren. Vermutlich hänge ich sowieso insgesamt soviel Zeit pro Woche am Computer, weshalb das an sich gar nicht so einen zeitlichen Unterschied macht. Allerdings ist normalerweise viel Zeit davon „vertrödelt“ durch Ablenkungen wie Youtube und ähnliches. Deshalb muss die Zeit fokussierter eingesetzt werden. Elon Musk plant seinen Tag im 5 oder 10 Minuten Takt, was ich schon sehr krass finde.
Eine 100 Stunden Woche ist schon übel unterzubringen, denn das entspricht ca. 14,29 Stunden pro Wochentag, also 14 Stunden und 17 Minuten pro Tag! Gut, einen Geschäftsführer haut diese Nummer wahrscheinlich nicht von den Socken. Für einen normalen Angestellten ist das hingegen schon eine ordentliche Hausnummer. Allerdings ist auch beispielsweise bei Geschäftsführern der Arbeitsalltag, zumindest so wie ich es erlebt habe, gespickt mit unsinnigen Meetings und unproduktiver Arbeit und oftmals unnötigem Micro-Management von eigentlich zu delegierenden Aufgaben. Es macht z. B. keinen Sinn wenn der Geschäftsführer niemanden Bestellungen durchführen lässt und stattdessen selber auf Anfrage der IT Lan-Kabel im Wert von sage und schreibe 20 € bestellt.
Es gibt also vermutlich viele Leute die zwar 10, 12 oder mehr Stunden am Tag arbeiten. Ob davon aber wirklich jede Stunde sinnvoll ist, das kann jeder für sich selbst beantworten. Laut Studien lässt die Qualität der Arbeit ab einem gewissen Punkt sowieso stark nach, weil man irgendwann einfach unkonzentrierter wird.
Motivation & Tools
Zu den Tools die ich zur Zeitplanung und habe ich bereits in der Vergangenheit einige Artikel geschrieben, die hilfreich sein könnten:
– Gründe warum Privatprojekte scheitern
– Prokrastination überwinden und produktiver sein
– Trello vs. KanbanFlow
– Review: Lichtwecker um sanfter aufzuwachen
– Die 70/30-Regel
– Das Pareto-Prinzip oder auch die 80/20-Regel
– Schluss mit BingeWatching und anderem Quatsch
– Zeigt her eure To-Do-Listen! – Blogparade
– Aufgaben-Organisation
– Gewohnheiten per App im Alltag etablieren
Planung
Da ich noch normal als Angestellter arbeite sind jeden Tag 8 Stunden (+ Fahrzeit und Pause) schon einmal dafür weg. Ob dies wirklich alles produktive Zeit ist sei mal dahingestellt, aber ich rechne es mit den vollen 8 Stunden Arbeitszeit ein. Denn entgehen kann ich dem nicht. Die Fahrzeit beträgt bei mir zum Glück nur etwa 15 Minuten mit dem E-Bike. Deshalb habe ich gegenüber vielen schon einmal einen Bonus, da bei mir nicht zwei Stunden meines Tages in irgendeinem überfüllten Zug oder auf der Autobahn verschwendet werden.
Wenn ich morgens vor der Arbeit eine Stunde eher aus dem Bett komme und abends nach der Arbeit etwa ein Stündchen zum Abschalten opfere und dann ab ca. 18 Uhr bis Mitternacht an meinen Projekten arbeite, dann habe ich im Extremfall bis zu 7 Stunden für meinen eigenen Kram. Also wären theoretisch pro Tag 15 Stunden oder mehr möglich. Das ist allerdings schon sehr extrem, zumal dies keine weiteren Pausen außerhalb der normalen Arbeit berücksichtigt.
Da man als Angestellter nicht unbegrenzt arbeiten darf, auch nicht im Nebengewerbe, mache ich für das eigentliche Gewerbe nicht wirklich mehr als sonst. Als kleine Projekte, die ich schon länger vor mir herschiebe, versuche ich meinen Schreibtisch zu optimieren und so umzubauen, sodass mein Rechner auf den Boden kann. Der Schreibtisch hat eine dämliche Mittelplatte, die das verhindert. Den Großteil der Zeit bilde ich mich mit einem SEO-Testprojekt, für welches ich Test-Texte verfasse, und dem Opimieren eines eigenen kleinen CMS in PHP weiter. Private Weiterbildung kann man einem vermutlich nicht verbieten oder als richtige Arbeitszeit ankreiden 😉
Als Ausgleich habe ich geplant zwischendurch, wie sonst auch, Gitarre zu spielen und spätestens am Sonntag, dem finalen Tag, nach langer Zeit mal wieder eine Runde auf der XBox zu zocken.
Das Tagebuch
Tag 1
Um 6:03 Uhr habe ich das Notebook gestartet und arbeitete bis Punkt 7 Uhr an einem Text für das Test-Webprojekt. Sich zu motivieren ist um die Uhrzeit echt schlimm. Ich wollte mich einfach wieder umdrehen und so wie sonst die Zeit bis 7 Uhr im Bett vertrödeln. Die Drei-Minuten-Regel hilft aber um einfach mal anzufangen.
Leider hat die Zeit nicht gereicht um den eigentlich inhaltlich einfachen Text fertig zu stellen. Aber um die 70 % habe ich fertig bekommen. Das ist ja schon mal etwas, im Vergleich zu normalerweise 0 % um diese Tageszeit 😀 Ich war also noch nicht mal im Bad und habe schon 57 Minuten an etwas „gearbeitet“. Das war immerhin ein ganz guter Anfang.
Ab 8 Uhr bis ca. 16:30 war ich dann normal „arbeiten“. Das waren dann 8 weitere Stunden Arbeit und noch eine halbe Stunde Pause. In dieser habe ich aber teilweise meinen Text in OneNote auf dem Handy weiterbearbeitet, weshalb ich hier 8 Stunden und 15 Minuten ansetze. Zuhause wieder angekommen habe ich etwas Kleinkram im Haushalt gemacht (wie die Spülmaschine aus- und einräumen) und habe dann nach einer kurzen Pause an dem Text weitergearbeitet.
Eine Sache die man lernt wenn man versucht 100 Stunden in einer Woche zu arbeiten: Mit unsinnigen und unwichtigen Dingen darf man sich nicht allzu lange aufhalten. Ich bekam im Tagesverlauf eine E-Mail meiner Versicherung, ich möge mich doch bitte telefonisch melden. Es geht mit Sicherheit nur um Werbung für irgendetwas neues. Deshalb habe ich nur kurz und knapp zurückgeschrieben, dass ich beruflich stark eingebunden bin und keine Zeit für irgendein Beratungsgespräch habe. Man möge sich bitte nur melden wenn man mir etwas mit besseren Leistungen oder einen günstigeren Tarif mit gleichbleibenden Leistungen anbieten kann. Normalerweise hätte ich mich vermutlich länger mit dem Kram aufgehalten. Aber das ist völlige Zeitverschwendung.
Mit den ganzen Einzelheiten und Dingen, an denen ich genau gearbeitet habe möchte ich hier nicht langweilen. Jedenfalls habe ich, wie sonst auch oft, währenddessen gegessen. Dies mache ich auch an den folgenden Tagen so.
Um wieder etwas fitter zu werden bin ich kurz nach 20 Uhr spazieren gegangen und habe auch Gitarre gespielt. Ins Bett geht es um 0 Uhr, was für die meisten Leute wohl schon eine recht üble Uhrzeit ist um vor einem Arbeitstag ins Bett zu gehen.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 14:05 h
Tag 2
Wie am ersten Tag habe ich um kurz nach 6 Uhr im Bett angefangen an einem weiterem Text zu arbeiten. Allerdings lief es nur schleppend, da mehr Recherche nötig war als gedacht und ich habe damit eher aufgehört um Rückenübungen zu machen. Nach der normalen Arbeitszeit war ich wieder ähnlich „busy“ wie an meinem ersten Tag und habe zum Ausgleich wieder einen kurzen Spaziergang und eine Gitarren-Session eingeschoben. Bis 0:30 Uhr war ich wieder mit meinen SEO-Texten und meinem CMS beschäftigt. Allerdings habe ich insgesamt mehr Pause gemacht und dementsprechend schon ein unschönes Minus aufgebaut.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 13:25 h
Tag 3
Morgens habe ich wieder 55 Minuten an meinen SEO-Texten gearbeitet. Den Rest des Tages lief wieder ähnlich ab, außer dass ich ca. eine Stunde nach dem Hauptjob noch auf einer Haus-Baustelle innerhalb der Familie war. Hier habe ich mir allerdings Bretter abgegriffen um meinen Schreibtisch umzubauen, somit zähle ich ca. 15 Minuten auch zur Arbeit, da ich dort hingefahren bin und die Bretter besorgt habe. Ansonsten ist nichts spannendes passiert, außer dass noch später ins Bett gegangen bin.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 14:25 h
Tag 4
Da ich am Vortag erst um 1 Uhr im Bett war, lief um 6 Uhr nicht besonders viel. Um 6:30 Uhr konnte ich mich dann motivieren das Notebook einzuschalten und mich mit dem SEO-Projekt zu beschäftigen.
An diesem Tag gab es eine Hiobsbotschaft, dass ich in Kurzarbeit gehen soll. Naja, so schlimm ist es für mich eigentlich nicht, da ich nun mehr Zeit füt andere Sachen (wie diesen Blog) habe. Dementsprechend war ich natürlich trotzdem bei meinem 100-Stunden-Projekt demotiviert und habe mich bzgl. Kurzarbeit noch etwas schlau gemacht.
An dem Abend habe ich zwar an meinen Sachen gearbeitet, aber auch vergessen die Zeit vernünftig festzuhalten. Es dürften aber nicht mehr als (leider ineffektive) 5 Stunden gewesen sein.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 13:30 h
Tag 5
Die Woche machte sich langsam bemerkbar und deshalb habe ich nichts vor 7 Uhr auf die Reihe bekommen und mich wieder umgedreht und geschlafen. Vermutlich kam der Gedanke auf die verlorene Zeit am Wochenende wieder rauszuholen. Abends habe ich angefangen mich um meinen Schreibtisch zu kümmern und bis spät nachts an meinem SEO-Testprojekt gesessen.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 16:00 h
Tag 6
Am Samstag bin ich erst um 9 Uhr aufgestanden und habe mich lange Zeit um mein Schreibtischprojekt gekümmert und danach wieder an meine anderen Projekte begeben. Dieser Tag war ziemlich durcheinander und anstrengend, mit einigen kurzen Unterbrechnungen. Deshalb habe ich abends, irgendwann nach 20 Uhr, ca. 2 Stunden geschlafen. Danach war ich dann bis etwa 4:30 Uhr nachts weiter an meinen Projekten am arbeiten.
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 17:00 h
Tag 7
Am Sonntag bin ich erst um 10 Uhr aufgestanden und habe erst um 11 Uhr angefangen an meinen Projekten zu arbeiten. Mittags habe ich mich für einige Zeit in die Sonne gelegt. Ins Bett ging es um 23:30 Uhr, zumindest wieder etwas früher 😀
Insgesamte Zeit an diesem Tag: 11:55 h
Fazit
Auch wenn es mit Sicherheit einiges an unproduktiver Zeit gegeben hat und ich mir zu viel vorgenommen habe, komme ich rechnerisch auf 100:20 h.
Es ist schon wirklich nicht einfach 100 Stunden die Woche „fokussiert“ an etwas zu arbeiten. Zu denken man würde 100 Stunden arbeiten, obwohl man dabei viel Zeit vertrödelt, allerdings schon. Leider sind solche Hiobsbotschaften, wie die Kurzarbeit, oder sonstige Unterbrechungen die einen auch kopfmäßig „belasten“ problematisch. Vermutlich kann man diese nur wirklich gut ignorieren, wenn das finanzielle Polster so gigantisch ist, dass einem einfach alles egal sein kann. Oder wenn einem grundsätzlich einfach alles völlig egal ist 😀
Als komplett gescheitert würde ich meinen Versuch nicht ansehen, jedoch würde ich 100 Stunden nicht empfehlen. 70 bis 80 Stunden halte ich jedoch für durchaus machbar und noch relativ gut mit dem Alltag vereinbar, wenn man die Stunden pro Tag reduziert bzw. einen „Gammel“-Tag einwerfen kann. In Zukunft werde ich defintiv versuchen mehr Stunden fokussiert zu arbeiten und störende Umstände besser auszublenden.
Ebenfalls muss ich sagen, dass das ganze vermutlich nur funktioniert, wenn man die alltäglichen Aufgaben wie Haushalt und Kochen, bis auf Kleinigkeiten, komplett an jemand anderen abgeben kann oder jemanden dafür einstellt oder man diese einfach vernachlässigt, was sich dann dadurch rächt, dass man diese zu einem späteren Zeitpunkt sowieso nachholen muss.
Auch wenn ich bei weitem nicht alle Sachen geschafft habe, die ich mir vorgenommen habe, so lag ich im Ergebnis doch schon über dem was ich sonst in einer Woche geschafft hätte. Und im Endeffekt geht es ja nicht um eine fixe Stundenanzahl, sondern darum mehr zu schaffen als normalerweise. Leider habe ich es nicht mehr geschafft eine Runde XBox zu spielen. Das ist schlecht, da ich dies eigentlich zum Ausklingen lassen vorgesehen hatte. Aber die Unterbrechungen mit Gitarre spielen waren eine wahre Wohltat als Ausgleich zur Projektzeit…